17 Jüdinnen und Juden aus England, Israel, den USA und Deutschland, die vom 15. bis zum 20. Mai 2022 nach Ronnenberg eingeladen worden sind, besuchten die Marie Curie Schule. Sie sind Nachkommen der 25 vertriebenen oder ermordeten Jüdinnen und Juden aus Ronnenberg.
Die beiden letzten noch lebenden Vertriebenen – Ursula Löwenstein geb. Seligmann in Jerusalem und Fritz G. Cohn in Chicago – konnten wegen ihres hohen Alters nicht mehr reisen, begleiten aber geistig und voller Anteilnahme den Besuch ihrer Verwandten von ihren Wohnorten aus.
Audiomitschnitt der Verannstaltung
Die Veranstaltung wurde zusammen mit SchülerInnen aus dem Seminarfach Erinnerungskultur und dem Kurs Darstellendes Spiel gestaltet. Nach einer Präsentation der Schülerinnen und Schüler fand eine lebhafte Diskussion mit den Gästen statt. Mit einer Theaterszene wurde der lebendige Geschichtsunterricht an die Gegenwart angebunden: Auch heute gilt es Ausgrenzung, Rassismus und Demütigung im Keim zu ersticken. Anschließend besuchten die Gäste gemeinsam mit SchülerInnen die Stolpersteine in Ronnenberg.
H.-J. Erchinger
HAZ / Calenberger Zeitung, 18.05.2022 – Von Ingo Rodriguez
Nachfahren der verfolgten Ronnenberger Juden erinnern an das Schicksal ihrer Familien
Nachfahren der verfolgten Ronnenberger Juden haben bei einem Besuch in der Marie-Curie-Schule in Empelde an das Schicksal ihrer Familien erinnert. Die jüdischen Ehrengäste loben die Ronnenberger Erinnerungsarbeit.
„Wir bedanken uns, dass Sie die Geschichten unserer Familien bewahren und die Erinnerung daran wach halten, damit so etwas nie wieder geschieht.“ Mit diesen Worten hat ein jüdischer Ehrengast der Stadt Ronnenberg die einhellige Haltung von 16 Nachfahren verfolgter Ronnenberger Juden eindrucksvoll zusammengefasst. Die erwachsenen Kinder, Enkelkinder und weitere Angehörige der von den Nazis vertriebenen und ermordeten Menschen waren auf Einladung des Fördervereins Erinnerungsarbeit Ronnenberg (FER) sowie der Stadt für sechs Tage aus den USA, Großbritannien, Israel und verschiedenen Teilen Deutschlands angereist – auch, um mehr über ihre eigenen Familien zu erfahren. In der Marie-Curie-Schule berichteten die Gäste über das Schicksal ihrer Familien und tauschten sich mit Oberstufenschülern aus.
Die 66-jährige Elisabeth Cohen und ihre 71-jährige Schwester Suzanne sind aus Chicago zu dem einwöchigen Besuch gekommen. Die Töchter des 1922 in Ronnenberg geborenen und später vertriebenen Fritz Cohen – er konnte wegen seines hohen Alters nicht anreisen – berichteten über die Jahre des Naziterrors. Alle englischen Redebeiträge wurden vom KGS-Leiter des Fremdsprachenbereiches, Thomas Döscher, übersetzt und zusammengefasst.
Es sei eine glückliche Kindheit gewesen, bevor die Nazis an die Macht kamen. „Wir waren nicht so religiös wie andere jüdische Familien. Wir waren zuerst Deutsche und dann Juden“, berichtete die 71-Jährige Cohen. Trotzdem habe wegen der Religionszugehörigkeit die Verfolgung begonnen. Dass etliche Familienmitglieder im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft hätten und gefallen seien, habe ihnen niemand gedankt. Cohen bedauerte das aktuelle Aufflammen neuer antisemitischer Tendenzen in Deutschland. Trotzdem sei sie froh über ihre Verbundenheit zu Ronnenberg.
Jüdische Ehrengäste sind für eine Woche nach Ronnenberg-Empelde angereist
Hintergrund des Besuches war eine Aktionsreihe des Erinnerungsvereins mit dem Titel „180 Jahre jüdisches Leben in Ronnenberg“. Der Förderverein habe diese Reihe anlässlich des bundesweiten Gedenkens „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ initiiert, berichtete Ronnenbergs früherer Bürgermeister Wolfgang Walther, der zum Vorstand des FER zählt. Zum Programm für die Ehrengäste gehörten außer einem Empfang im Rathaus auch Besuche von Holocaust-Gedenkstätten in Ronnenberg, Hannover und Berlin.
Ronnenberger Schülerin versichert tolerante Grundhaltung
In der Aula tauschten sich die jüdischen Gäste mit KGS-Oberstufenschülern aus einem Geschichtskurs aus, der regelmäßig die 25 Gedenksteine – sogenannte Stolpersteine – vor den früheren Häuser der Ronnenberger Juden säubert. Auf die Frage einer Besucherin, was sie aus der Geschichte gelernt hätten und wie die Erinnerungsarbeit fortgesetzt werde, versicherte eine Schülerin: „Wir werden in der Schule früh an die Zeit des Naziterrors herangeführt und auch durch den Geschichtskurs sowie die Stolpersteinaktionen dafür sensibilisiert.“ Niemand dürfe wegen seiner Herkunft oder Religion verfolgt werden.
Zuvor hatten auch weitere Nachfahren über die ihnen bekannten Schicksale und leidvollen Fluchtwege ihrer Familien berichtet. David Strassmans aus London, ein Nachfahre der Ronnenberger Familie Seligmann, berichtete, dass viele der Ehrengäste erst in den vergangenen Jahren von bestehenden Verwandtschaften untereinander erfahren hätten. Großes Lob wurde für die dabei hilfreiche Arbeit des Ronnenberger Erinnerungsvereins dem Vorsitzende Peter Hertel und seiner Frau Christiane ausgesprochen.
„Nicht nur Erziehung und Bildung, sondern auch Toleranz und Akzeptanz erforderlich“
Nach einer Abschlussaufführung des KGS-Kurses Darstellendes Spiel über das Thema Mobbing und Ausgrenzung mahnte eine Tochter Fritz Cohens: Um derartige Tendenzen zu stoppen, seien nicht nur Erziehung und Bildung, sondern auch Toleranz und Akzeptanz erforderlich. Der Gymnasialzweigleiter Dirk Horsten zeigte sich nach der rund zweistündigen Veranstaltung beeindruckt. Alle jüdischen Ehrengäste hätten einen gemeinsamen geschichtlichen Hintergrund. „Aber alle haben einen völlig unterschiedlichen Lebensweg genommen.“ Nach einem gemeinsamen Abschlussessen mit Ronnenbergs Bürgermeister Marlo Kratzke am Donnerstagabend reisen die Ehrengäste am Freitag wieder ab.
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